Montag, 13. Dezember 2010

Herrmann und Siegfried

Es gibt Essen, das man füttern muss. Bisher dachte ich, dass füttern die Aufgabe des Essens und futtern die Aufgabe des Essenden sei. Aber das war vor Hermann. Hermann ist ein Sauerteig – und eines der seltsamsten Lebensmittel, die mir bisher untergekommen sind. Er scheint irgendwie zu leben. Nicht nur, weil er Futter braucht. Oder Hermann heißt. Sondern weil über ihn Foreneinträge verfasst werden, die „Mein 1. Sauerteig“ heißen oder „Ist mein Sauerteig zu jung“ respektive „Mein Sauerteig ist tot“. Einige Sauerteig-Eltern veranlasst er zu Grönemyer-esquen Einträgen wie „Wann ist der Sauerteig ein Sauerteig?“. Auf der Seite hermannteig.de wird Hermann sogar als Universal-Genie verehrt, das von Generation zu Generation vererbt werden muss – oder per Email vom Seitenbetreiber bestellt werden kann. Der Teig scheint eine Art essbares Tamagotchi zu sein. Am ersten Tag hat er Hunger und will Mehl, Milch und Zucker. Am zweiten, dritten und vierten Tag will er umgerührt werden, am fünften Tag will er wieder Futter, am sechsten bis neunten Tag wieder rühren... am zehnten Tag ist der Lümmel dann endlich soweit, dass er sich dazu bequemt ein Brot zu werden. Das heißt dann übrigens Siegfried. Vielleicht wird er aber auch ein Betonklumpen, mit dem man prima Briefe beschweren oder sich Zähne ausbeißen kann. Aber selbst, wenn aus dem Hermann ein leckeres Backwerk wird: Wer weiß denn schon heute, dass er in zehn Tagen Lust auf Sauerteigbrot haben wird? Ich nicht, ich gehöre zur Gattung der Spontan-Einkäufer, die um 16 Uhr im Blutzuckerloch einen Jieper auf irgendein Gericht bekommen, dass dann um 18 Uhr fürs Abendessen eingekauft wird (nachdem man den Jieper um 16.05 Uhr mit Süßkram zum Schweigen gebracht hat). Glücklicherweise habe ich Freunde, die bessere Sauerteig-Eltern sind als ich es je werden könnte: Sie wissen nicht nur, wann der kleine Hermann gefüttert und wann gekrault werden möchte – sie fangen damit auch rechtzeitig an, damit wir zum gemeinsamen Abendessen bei ihnen zuhause oder auf unserem traditionellen Pärchen-Pfingstwochenende in Dänemark was Leckeres zum Belegen haben. Sie haben uns auch schon angeboten, uns was von ihrem Hermannbausatz abzugeben. Achim fand den Gedanken durchaus erwägenswert. Ich nicht. Ich habe schon einen Mann im Haus, den ich kraulen kann. Aber der füttert mich – und das finde ich deutlich charmanter als umgekehrt.

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