Freitag, 16. März 2012

Bier - einfach mal gären lassen

Deutschland ist Bierland. Jede dritte Brauerei, weltweit gerechnet, steht in der Bundesrepublik. Allein damit, von jeder dieser Manufakturen ein Bier zu probieren, würde mehr als 13 Jahre dauern. Profi-Trinker und Festival-Besucher würden es vielleicht auch in der Hälfte der Zeit schaffen, könnten sich allerdings an die meisten Biere mengenbedingt nicht mehr erinnern, sodass sie nach Beendigung des Experiments direkt wieder von vorne anfangen müssten. Sie wären also doch wieder bei 13 Jahren – aber deutlich mehr Gesamtpromille. Wie viel Umdrehungen ein Bier hat, ist für seine Sortenbezeichnung übrigens völlig unerheblich. Selbst ein Vollbier heißt nicht wegen seiner Wirkung auf den Trinker so, sondern aufgrund seiner Stammwürze. Besagtes Vollbier hat elf bis 14 Prozent und liegt damit auf Platz zwei hinter dem Starkbier mit mehr als 16 Prozent. Ein Schankbier hat sieben bis acht Prozent Stammwürze, ein Einfachbier nur zwei bis fünfeinhalb. Gemessen wird der Stammwürze-Gehalt, also alle nicht flüchtigen Inhaltsstoffe vom im Wasser gelösten Malz- und Hopfenanteil vor der Gärung, in Grad Plato auf jeweils 100 Gramm Bier (Wissenschaftler sind wahrscheinlich die einzigen, die auf die Idee kommen, Bier in Gramm zu messen. Diese nicht vergorenen Inhaltsstoffe sind zum Großteil Zucker,der während des Gärprozesses in Kohlendioxid und Alkohol umgewandelt wird. Nur rund 1/3 bleibt als Restzucker und nicht vergärbare Fitzelchen erhalten. Wenn man die Grad Stammwürze durch drei teilt, weiß man ungefähr wie viel Vol.-% Alkohol im Bier stecken. Randgruppen, die Bier lieber zum Rechnen als zum Trinken verwenden, ergötzen sich gerne auch mal an der großen Balling’schen Formel:
100 [(2,0665 A) + E]
—————————————————
300 + „Grad Stammwürze“ x 0.267 = Vol.-% Alkohol
Legende:
A = im fertigen Bier enthaltener Alkohol (in Gew.-%)
E = im fertigen Bier enthaltener, nicht vergorener Stammwürzeextrakt (in Gew.-%)
St = im nicht vergorenen Bier enthaltener ursprünglicher Stammwürzeextrakt (in Gew.-% = Grad Plato)

Aber, ganz ehrlich, wer will das schon? Das wäre, als wenn man sich ein 4.000-Euro „ich brenne alles nieder was bei drei nicht den Planeten verlassen hat“-Grill-Eldorado von Weber auf die Terrasse stellt und dann den Sommer damit verbringt auszurechnen, wie viele Rinderherden man mit X Flaschen feinsten Grillgases in welcher Zeit zu Steaks verbruzzeln hätte können während sich die Gartenspinnen über ein 1a-Baugerüst für ihre Netze freuen, weil der Rost kalt bleibt. Rechnen ist Pilates fürs Hirn – keiner weiß so richtig was es soll, aber alle machen ein wichtiges Gesicht dabei. Wenn die grauen Zellen schon gefordert sein wollen, dann bitte im Kampf gegen den Alkohol; nicht beim soften Hin- und Hergeschiebe theoretischer Werte, die eh keinen interessieren außer der Lebensgefährtin, die sie am nächsten Tag dazu missbraucht einem vorzurechnen, warum man einen solchen Schädel aufhat. Ganz ehrlich: Wenn einen dieser Zusammenhang interessieren würde, wäre man mit einem Alkomaten zusammen gezogen.
Schon eher interessant ist die Abhängigkeit der Biersteuer von der Stammwürze. Wenn man sich schon nach drei Halben den Gegenwert eines Mittelklasse-Neuwagens durch die Leber und direkt in die Kassen des Fiskus gejagt hätte, würde das Trinken ja schon währenddessen keinen Spaß machen, nicht erst am nächsten Morgen.
Berechnet wird der Regelsatz der Biersteuer je Grad Plato pro Hektoliter – und zwar mit 0,787 Euro. Ein Hektoliter Vollbier kommt auf ungefähr 9,44 Euro Steuer, also 1,9 Cent pro 0,2 Liter. Hochgerechnet auf eine Größe, die auch im Süden Deutschlands als Biergefäß anerkannt ist, sind das fast fünf Cent pro Hopfenkaltgetränk. Das klingt wenig. Ausgehend von der durchschnittlich anzunehmenden Bierverzehrmenge eines mittelmäßig trainierten Wiesn- oder Rockfestivalbesuchers kommt jedoch so pro Wochenende schon fast wieder der Kaufpreis eines Humpens zusammen, der ungetrunken ans Steueramt wandert. Aber gut, Freude soll man ja teilen. Und wenn man sich schon die inneren Organe kaputt macht, dann wenigstens mit guten Freunden und einer ordentlichen Party als durch Ärger, der im Bauch gärt.
Das Gären soll lieber das Bier übernehmen. Das ist auch so rücksichtsvoll, diesen Prozess in der Flasche oder im Fass zu vollziehen. Ob ein Bier ober- oder untergärig ist, hängt von der verwendeten Hefe ab. Obergärige Hefe schwimmt nach dem Brauvorgang auf dem Sud, so dass die Kolonien ohne Probleme abgeschöpft werden können. Bei untergäriger Hefe muss der Braumeister entweder passionierter Taucher sein – oder die Hefe eben unten am Kesselboden lassen. Das einzige obergärige Bier, das auch die Bayern als Bier durchgehen lassen, ist das Weißbier. Kölsch, Alt und Berliner Weiße werden von Bewohnern Süddeutschlands eher in die Kategorie „A geh“ (Tu‘ das Zeug weg) oder „greislig“ (geschmacklich optimierungsfähig) eingeordnet. Dass der Bayer so an seinem „Weizen“ hängt, liegt vermutlich auch daran, dass er es quasi von Kindesbeinen an kennt – den Kindesbeinen des Bieres, nicht der eigenen. Denn bevor es ein ausgewachsenes Weizen wird, wird das Jungbier, das in Deutschland mindestens zur Hälfte aus Weizenmalz hergestellt werden muss, erstmal in die Flasche geschickt. Dort reift es, wird mit Würze veredelt und am Ende liebevoll filtriert bevor es dem Höhepunkt (und dem baldigen Ende) seines schäumenden Lebens in einem schlanken, hohen Glas entgegenfließt. Das hat diese spezielle Form, damit die im Bier enthaltene Kohlensäure nach oben steigen kann und das Bier länger spritzig und frisch bleibt. Profis schenken die komplette Portion ohne Absetzen ab. Der Trick: Die Flasche so halten, dass die Hefe erst spät aufgewirbelt wird und nicht sofort Schaum erzeugt. Und: Weißbier schmeckt nur richtig kühl.
Kälte mögen auch untergärige Biere wie Helles, Pils, Lager und Schwarzbier gern. Und zwar schon bei ihrer Entstehung. Während obergärige Hefe nämlich am besten bei Temperaturen zwischen 15 und 20 Grad arbeitet, läuft untergärige Hefe bei vier bis neun Grad zu Hochform auf. Betritt man also einen Gärkeller, in dem man leicht fröstelt, wird dort ziemlich sicher untergäriges Bier hergestellt. Weil im Rheinland wegen des milderen Klimas nur selten Eis und Frost hatten, war die untergärige Hefe quasi im Dauerstreik und die Bewohner dieses Landstrichs mussten sich mit Kölsch und Alt begnügen, das sie (aus welchen Gründen auch immer) in winzige Gefäße kippten. Die Bayern und Württemberger dagegen wussten gar nicht wohin mit dem Schnee, also benutzten sie ihn, um die Hefe zu Meisterwerken wie dem hellen Bier zu motivieren.
Ein Spezialfall ist das Bock- oder Starkbier. Es gibt ober- und untergärige Sorten. Alle haben jedoch eine sehr dickflüssige Maische, dem Brei wird nur wenig Wasser zugesetzt. Sie sind schwer und kalorienreich. Eine Unterkategorie, den Doppelbock, nutzten im 17. Jahrhundert die Paulanermönche deshalb gezielt als Nahrungsersatz in der Fastenzeit. Eher versehentlich entstand eine andere Bockbier-Art, der Eisbock. Ein Braugeselle im oberfränkischen Kulmbach soll der Überlieferung nach zu faul gewesen sein, die draußen gelagerten Fässer kurz vor Feierabend noch nach drinnen zu rollen – mit dem Ergebnis, dass deren Inhalt gefror. Der zürnende Meister zwang den Gesellen am nächsten Morgen, zur Strafe die Eisblöcke aufzuschlagen und das Konzentrat aus Alkohol und anderer Bierbestandteile, das sich im Inneren angesammelt hatte auszutrinken. Dass die Strafe gar nicht so grausam war belegt die Tatsache, dass es den Eisbock noch heute gibt.

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